Liebe Annemarie,
als Du nach Salzburg kamst, konnte man die sog. „Ordentlichen“ Professorinnen noch an einer Hand abzählen, und ich – 1995 gerade mal die zweite – schickte Dir einen Willkommensgruß und lernte Dich persönlich bei Deiner interessanten Antrittsvorlesung kennen. Dass ich einer anderen Fakultät angehörte, war wahrscheinlich eine gute Voraussetzung für eine kollegiale Freundschaft, die damals begann. In den Jahren, als wir beide noch aktiv und sehr beschäftigt waren, trafen wir uns selten privat (aber schon mal zum Essen: ich bewunderte Deine Kochkünste), meist aber zufällig, bei Konzerten im Mozarteum, bevorzugt bei zeitgenössischer Musik – und damals warst Du öfters dort mit Deinem lieben Vater. Als Du mir vor einigen Jahren heftig aus dem Bus zuwinktest und ich sah, dass Du ganz kurze Haare hattest, wagte ich kaum zu fragen, ob Du eine Chemotherapie hinter Dir hattest. Dass Du diese Zeit allein durchgestanden hast und auch bei der folgenschweren Nacherkrankung, die Du am liebsten ganz ignoriert hättest, alles allein meistern wolltest, hat mich immer sehr bewegt. Wir verabredeten uns nun öfter, weiterhin zu Konzerten im Mozarteum, zu den „Dialogen“ und besonders gern zu den Pre-College Konzerten der Universität Mozarteum: Einmal hast Du geweint und sagtest später, Du habest bei dem jungen Pianisten, der Liszt spielte, an Deinen Vater gedacht, der auch schon als Jugendlicher vorspielte und nach dem Krieg am Mozarteum in Salzburg war – ich spürte wieder, wie sehr Du ihn geliebt hast.
Corona hat in den letzten Monaten alle geplanten Veranstaltungen unmöglich gemacht, bei jedem Telefongespräch versicherten wir uns, dass wir hofften, dass bald alles wieder möglich werde. Zuletzt hast Du mich vor ca. 4 Wochen angerufen – und da hattest Du Dich verwählt, daher warst Du etwas eilig; ich hab Dich aber noch gefragt, ob Du weiterhin Radtouren machst und auch noch in der Innenstadt unterwegs wärest (denn da hatte ich immer Sorge, dass Du nicht zurückfinden würdest), Letzteres hast Du verneint. Aber Du wolltest Dir noch einmal – ich weiß nicht zum wievielten Mal – meine Telefonnr. aufschreiben, die Du verlegt hättest, und ich meinte, dass besser ich Dich anrufe.
Dies ist nun mein letzter Anruf, liebe Annemarie. Ich bin seit der Anzeige der Universität so erschüttert, dass es so gekommen ist, dass ich nicht sofort reagieren konnte. Aber es sind nicht meine letzten Gedanken an Dich, liebe Kollegin: ich werde Dich sehr vermissen, nicht nur, wenn ich irgendwann wieder ins Mozarteum gehe. Mit Deiner Cousine Elisabeth, die im vorigen Jahr mal bei unserem Treffen dabei war, hoffe ich in Kontakt zu bleiben; Deiner Familie spreche ich mein Beileid aus.
Ruhe in Frieden!