June 22, 2022
June 22, 2022
Meine liebe Helga,
es ist Sommer und Zeit für Italien. Und wieder muss ich daran denken, dass wir einmal zusammen an den Lago Maggiore fahren wollten, du, Hermann und ich. Leider ist nichts draus geworden. Und dann konnte Hermann nicht mehr reisen. Und dann konntest du nicht mehr reisen. Nun seid ihr beide abgereist, für immer, aber seid mir nah wie immer. Was ist das nur mit dem Tod, der alles einebnet, alles Helle und Leichte und Schöne mit sich fortnimmt und alles dunkel und schwer macht? Der Schmerz wird weniger, hast du gesagt, aber die Leere bleibt. Ja, so empfinde ich es auch.
Dein Geburtstag, vier Tage später Hermanns Todestag, der dritte schon, sechs Tage danach reiste ich nach Italien. Ich bin durch Neapel geschlendert und habe in der Hängematte unter Zitronenbäumen gefaulenzt, bin auf Berge im Cilento gewandert und an deinem Todestag in der untergehenden Sonne zwischen den griechischen Tempeln von Paestum gewandelt. Den Tempeln wird gerne ein Hauch von Ewigkeit zugeschrieben, aber auch sie werden irgendwann Staub sein. Ob 2.500 Jahre oder ein Menschenleben, alles vergeht, nichts bleibt. Du hättest gelacht und mir geraten, gerade darum jede Minute, die mir gegeben ist, zu genießen. Und ich meinte, ein rotes Kopftuch, dich gegen die Sonne zwischen den Säulen aufblitzen zu sehen.
Du fehlst mir.
Deine Nikola
My dear Helga,
It is summer and time for Italy. And again I remember that we once wanted to go to Lake Maggiore together, you, Hermann and me. Unfortunately, nothing came of it. And then Hermann couldn't travel anymore. And then you couldn't travel anymore. Now you've both left, forever, but you're as close to me as ever. What is it about death that levels everything, takes away everything bright and light and beautiful, and makes everything dark and heavy? The pain becomes less, you said, but the emptiness remains. Yes, that's how I feel too.
Your birthday, four days later the anniversary of Hermann's death, the third already, six days after that I traveled to Italy. I strolled through Naples and lazed in a hammock under lemon trees, hiked up mountains in Cilento, and on the anniversary of your death walked among the Greek temples of Paestum in the setting sun. The temples like to be credited with an air of eternity, but even they will eventually be dust. Whether 2,500 years or a human lifetime, everything passes, nothing remains. You would have laughed and advised me, precisely for that reason, to enjoy every minute that is given to me. And I meant to see a red headscarf, to see you flashing against the sun between the columns.
I miss you.
Love, Nikola
es ist Sommer und Zeit für Italien. Und wieder muss ich daran denken, dass wir einmal zusammen an den Lago Maggiore fahren wollten, du, Hermann und ich. Leider ist nichts draus geworden. Und dann konnte Hermann nicht mehr reisen. Und dann konntest du nicht mehr reisen. Nun seid ihr beide abgereist, für immer, aber seid mir nah wie immer. Was ist das nur mit dem Tod, der alles einebnet, alles Helle und Leichte und Schöne mit sich fortnimmt und alles dunkel und schwer macht? Der Schmerz wird weniger, hast du gesagt, aber die Leere bleibt. Ja, so empfinde ich es auch.
Dein Geburtstag, vier Tage später Hermanns Todestag, der dritte schon, sechs Tage danach reiste ich nach Italien. Ich bin durch Neapel geschlendert und habe in der Hängematte unter Zitronenbäumen gefaulenzt, bin auf Berge im Cilento gewandert und an deinem Todestag in der untergehenden Sonne zwischen den griechischen Tempeln von Paestum gewandelt. Den Tempeln wird gerne ein Hauch von Ewigkeit zugeschrieben, aber auch sie werden irgendwann Staub sein. Ob 2.500 Jahre oder ein Menschenleben, alles vergeht, nichts bleibt. Du hättest gelacht und mir geraten, gerade darum jede Minute, die mir gegeben ist, zu genießen. Und ich meinte, ein rotes Kopftuch, dich gegen die Sonne zwischen den Säulen aufblitzen zu sehen.
Du fehlst mir.
Deine Nikola
My dear Helga,
It is summer and time for Italy. And again I remember that we once wanted to go to Lake Maggiore together, you, Hermann and me. Unfortunately, nothing came of it. And then Hermann couldn't travel anymore. And then you couldn't travel anymore. Now you've both left, forever, but you're as close to me as ever. What is it about death that levels everything, takes away everything bright and light and beautiful, and makes everything dark and heavy? The pain becomes less, you said, but the emptiness remains. Yes, that's how I feel too.
Your birthday, four days later the anniversary of Hermann's death, the third already, six days after that I traveled to Italy. I strolled through Naples and lazed in a hammock under lemon trees, hiked up mountains in Cilento, and on the anniversary of your death walked among the Greek temples of Paestum in the setting sun. The temples like to be credited with an air of eternity, but even they will eventually be dust. Whether 2,500 years or a human lifetime, everything passes, nothing remains. You would have laughed and advised me, precisely for that reason, to enjoy every minute that is given to me. And I meant to see a red headscarf, to see you flashing against the sun between the columns.
I miss you.
Love, Nikola