Über allen GipfelnIst Ruh,In allen WipfelnSpürest duKaum einen Hauch;Die Vögelein schweigen im Walde.Warte nur, baldeRuhest du auch.
Johann Wolfgang von Goethe
Rand-bemerkungen
von Jes Rau
Ich bin ein Warmduscher. Wenn ich nicht einschlafen kann, hilft mir zumeist eine warme Dusche. Diesmal nicht. Es war bald 5 Uhr in der Frühe und ich hatte noch kein Auge zugedrückt: Da half nur eines: Aufstehen! Ich zog mir den Bademantel über und trat vor die Tür. Die Luft war frisch aber nicht kalt. Der Wind liesss die Blätter von Rasmussen rauschen. Rasmussen ist der Eichenbaum, der unser Haus bewacht. Er ist mit meiner Famile entfernt verwandt. (Rasmussen ist der Mittelname meines Grossvaters) Vielleicht liegt es daran, dass wir dieselbe Wellenlänge haben.
Als ich mich Rasmussen näherte, konnte ich nicht anders, als seinen dicken Stamm umarmen. Seine Haut ist alles andere als weich. Aber dennoch tat es mir so gut, sie zu streicheln. Und dann kamen mir die Tränen.
„Ich weiss, ich weiss“, sagte Rasmussen.„Dein Freund Dieter Schambach ...“ -“Ja“, sagte ich. „Er ist gestorben“
„Nein“ schrie ich , „Nein, nein.“ Das Wort klang so schrecklich, so endgültig! „He just passed away“ sagte ich. „Du hast Recht, he just passed away“, sagte Rasmussen. Manchmal ist die englische Sprache so viel einfühlsamer als die deutsche.
„Das ist ein grosser Verlust für Dich“, sagte Rasmussen. „Ein riesiger Verlust“, bestätigte ich. Was vielleicht schwer zu verstehen ist, da wir so unterschiedliche Charaktäre sind. Dieter ist ein Hans Dampf in allen Gassen. Extrovertiert. Lebenslustig. Ich hingegen bin ein einsamer Wolf. Ein Bücherwurm. Ein ewiger Denker, der die Welt retten will.
„Ein Intellktueller“, sagte Rasmussen . „Nein, kein Intellektueller, denn das Wort klingt in meinen Ohren wie „Klugscheisser“.
„Ich wollte Dich nicht beleidigen“, sagte Rasmussen.
„Ich weiss, ich weiss, mein Lieber“
„War er ein alter Jugendfreund?“ frage Rasmussen.
„Nein, keineswegs. Er war irgendwann auf die „New Yorker Staats-Zeitung“ gestossen und aus Begeisterung für das Blatt wollte er dessen Publisher kennenlernen. Was mich natürlich freute,“
„Natürlich“, meinte Rasmussen. Wir wohnten damals noch in Manhatten während Mr. Schambach an der Küste von New Jersey lebte. Wir trafen uns dann in einem japanischen Restaurant in Greenwich Village und erzählten uns gegenseitig, wie es dazu gekommen war, dass wir beide nun in Amerika lebten.
Er kam aus Mainz. Ich betrachtete mich als Kieler, obwohl ich im Alter von 14 Jahren nach Bonn umgezogen war, wo mein Vater zum Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium und engen Mitarbeiter von Ludwig Erhard aufstieg. Dieter war ein leidenschaftlicher Anhänger des lokalen Fußballvereins Manz 05. Ich hielt für Holstein Kiel, obwohl der Verein damals nicht einmal drittklassig war.
Das waren eigentlich unüberbrückbare Gegensätze, die sich aber schell auflösten
Es soll ja so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geben. Aber mein Verhältnis zu Dieter zeigt, dass auch so etwas wie Freundschaft auf den ersten Blick gibt. Aus den Schilderungen seiner lieben Tochter Christine kann ich entnehmen, dass Dieter diese Wirkung auch auf viele andere hatte. Das änderte nichts daran, das ich unsere Beziehung als spezielle, echte Freundschaft empfand.
Als wir dann nach Sarasota FL. umzogen, hatten wir nur noch telephonischen Kontakt. Was dessen Bedeutung für mich nicht minderte. Im Wall Street Journal las ich kürzlich einen Artikel über die segensreiche Wirkung von Freunden, denen man voll vertrauen kann und die einem guten Rat in den verschiedensten Lebenssituationen geben können - ohne irgendwelche Eigeninteressen zu verfolgen.
So ein Freund und Lebensberater war Dieter Schambach für mich. Er verstand mich und war eindeitig pateiisch - für mich.
Immer wieder beschwor er mich, nicht zu selbstkritisch und stolz auf unsere „Staats“ zu sein. „Compliments get you everywhere“ heisst es. Und Dieter Schambach verstand es, Komplimente zu geben. Aber er wollte damit ja keine Vorteile für sich rausholen - sonderen wollte mir nur Gutes tun.
Als Publisher muss man eine dicke Haut haben. Man muss mit Kritik leben können. Manchmal geht es unter die Haut, wenn man beschimpft wird. Deswegen ist die Presse so wie sie ist. Ja, manchmal verdients sie die Bezeichnung „Lügenpresse“. Das ist sicherlich die passende Bezeichnung für die amerikanische Presse, vor und während des ersten Weltkrieges. als sie gegen Deutsche und Deutschamerikaner hetzte, um die USA zum Krieg gegen Deutschland zu veranlassen. Ich vermeide den Ausdrück „Lügenpresse“ und spreche lieber von der „menschlich, allzu menschlien Presse“, denn es ist menschlich, dem Druck von Geldgebern, Regierungen und Lesern nachzugeben.
Deshalb ist es wichtig. Menschen wie Dieter Schambach um sich zu haben, die die gutwilligen Presseleute bestärken in ihrem Tun.
„Ich kann nicht klagen, ich hatte ein gutes Leben“, sagte Dieter zuletzt zu mir. Er hat es verdient. Er hat etwas geleistet als Logistiker. Er sprach mehrere Sprachen, darunter Russisch und Portugiesisch.
Seine grosse Zeit hatte er wohl in Brasilien, wo er für eine deutsche Firma den weltweiten Transport von Gütern organisierte.
„Aber das Wichtigste in meinem Leben sind meine Frau Christl, meine Tochter und meine zwei Enkel“, sagte er. „ Ich liebe sie. Sie lieben mich. Was will man mehr?“
„Ich wünschte ich hätte wäre Dieter schon früher begegnet“, sagte ich zu Rasmussen. „Und jetzt habe ich niemanden mehr, der mich versteht und mir Rat geben kann“. „Aber Du hast noch so einen Freund“, entgegnete Rasmussen. „Du meinst meinst meinen Schulfreund Helmut? -Ja, das stimmt, er ist auch ein guter Freund.“ „Nein, ich meine Deinen Freund Rasmussen!“
„Wie konnte ich das vergessen“, sagte ich. Natürlich bist Du ein lebenswichtiger Freund für mich“, sagte ich und streichelte seine zerklüftete Rinde.
Christl und Dieter Schambach